Livia Hansons Fotoarbeit ist das Finden eines WIRs im Individuum. Mit einem bewundernd-annähernden Blick geht die Fotografin mit ihren Protagonist:innen einen Tanz ein und forscht in intimen Körperbildern von Künstler:innen sowie in abstrakten Bildwelten nach der eigenen und gemeinsamen Identität. Unterschiedlichste Lebensrealitäten werden dabei sichtbar und treten miteinander in Dialog. Es äußert sich der Wunsch nach einer offenen Gesellschaft, der beim Eintauchen in Hansons fotografische Utopie real zu werden scheint.
Livia Hanson bespielt die Wände des Raums wie ein fotografisches Tanztheater. Ihre Ausstellung fungiert als selbstständiger, rhythmischer Körper. Pulsierend durch die Bewegungen der Protagonist*innen, die sich zu etwas Kollektivem verbinden wollen, tanzend im Rhythmus der verschiedenen Format- und Farbwelten der unterschiedlichen Werke. Große Prints treten in ihrer Komposition fragil, aber befreit neben kleineren auf.
Im Backstage-Bereich zeigt sich etwas Neues, ein Einblick in ihr nächstes Projekt „Androgyne“. Jedes Bild ist in sich zugleich leise und laut, folgt einer unhörbaren Musik, die visuell doch greifbar wird. Dabei zeigt sich das Bild selbst lebendig, hebt sich von der Wand ab und ent-täuscht dabei unsere Wahrnehmung. Die dem Medium eigene Zweidimensionalität löst sich scheinbar auf. Analoge Fotografien gehen dabei ein Wechselspiel aus Farbe und schwarz-weiß, starkem Kontrast und sanfter Weichheit ein. Diese Wechselwirkung zu entdecken, meint dabei auch den Austausch, das Gemeinsame und die fassbaren Grenzen zu entschlüsseln. Denkbarkeiten, die auch im Zwischenmenschlichen zu finden sind. Beziehungsräume, die durch die Begegnung zwischen der Künstlerin und den einzelnen Persönlichkeiten entstehen, kreiert die Fotografin fluid und offen. Wie definiert und wo verortet sich die Identität eines WIRs? Und in welcher Bewegung befindet sie sich? Bewegungsräume erschließen sich auch im Ausstellungsraum selbst. Dabei steht die Frage im Vordergrund: Wer kann welchen Raum überhaupt erschließen? Wo sind für wen, welche Grenzen und wie können diese eingenommen und überschritten werden? Livia Hanson lässt Grenzen verschwimmen und versetzt ihre Protagonist*innen und in einen Schwebezustand, in ein Dazwischen der Leichtigkeit, das in einem eigenen Findungsprozess ohne ein Ankommen auskommt.
Text: Verena Meyer
auf_sehen, 2021
Livia Hanson's photographic work is the discovery of a WE within the individual. With an admiring and approachable gaze, the photographer engages in a dance with her protagonists and explores intimate body images of artists as well as abstract visual worlds in search of personal and shared identity. Diverse life realities become visible and enter into dialogue with each other. The desire for an open society is expressed, which seems to come to life when immersing oneself in Hanson's photographic utopia.
Livia Hanson fills the walls of the space like a photographic dance theater. Her exhibition acts as an independent, rhythmic body. It pulses through the movements of the protagonists, who seek to connect to something collective, dancing in rhythm with the various formats and color worlds of the different works. Large prints stand fragile yet liberated beside smaller ones in their composition.
In the backstage area, something new is revealed—an insight into her next project, "Androgyne." Each image is simultaneously quiet and loud within itself, following an inaudible music that becomes visually tangible. The image itself comes alive, detaching from the wall and thus deceiving our perception. The inherent two-dimensionality of the medium seemingly dissolves. Analog photographs engage in a interplay of color and black-and-white, strong contrast and gentle softness. To discover this interplay also means deciphering exchanges, commonalities, and tangible boundaries. Possibilities that can also be found in human interactions. Relationship spaces created through encounters between the artist and individual personalities are crafted by the photographer in a fluid and open manner. How is the identity of a collective defined and situated? And in what movement does it find itself? Spaces of movement are also revealed within the exhibition space itself. The central question is: Who can actually explore which space? Where are the boundaries for whom, and how can they be occupied and crossed? Livia Hanson blurs boundaries and places her protagonists in a state of suspension, in an in-between of lightness that exists in its own process of discovery without arriving.